„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“

Berichten von Kulturen, Menschen, Erlebnissen – erlebt mit allen Sinnen.

Wir wünschen uns das für unsere Kinder: über den Tellerrand schauen, spüren, was Leben in anderen Kulturen heißt. Neugierig und respektvoll Neuem zu begegnen, um den eigenen Blickwinkel zu erweitern.

Unsere Tochter Franziska konfrontierte uns ein Jahr vor ihrem Abitur mit dem Wunsch, ein freiwilliges Jahr in Tansania zu leisten. Nun, zu dieser Zeit waren Berichte über Ebola-Epidemien wochenlang in den Schlagzeilen. Ungeachtet dessen schwärmte sie uns von einem Projekt der Pallottinerinnen vor, für das sie sich beworben hatte. Sie wurde angenommen und wir mussten uns nun mit der Situation auseinandersetzten.

Es folgten mehrere Vorbereitungsseminare in Limburg. Die Mädchen erhielten ein breitgefächertes Spektrum an Informationen und Handlungsweisen an die Hand, die sie auf das Wesentlichste vorbereiteten: Gesundheitsvorsorge, Kultur, Sprache, aber auch Gewaltprävention und Krisenmanagement standen auf dem Stundenplan. Mein Mann besuchte das Elternwochenende und kam deutlich entspannter und zuversichtlicher nach Hause.

Wir stellten erfreut fest, dass die Pallottinerinnen sich mit viel Mühe und Engagement einer guten Vorbereitung dieser Reise widmeten.

Das Abitur kam und ging. Der Entsendungsgottesdienst, an dem unsere Familie geschlossen teilnahm, wurde feierlich zelebriert. Mit Segen und besten Wünschen wurden 12 Mädchen in die Welt geschickt.

Der Tag der Abreise nahte und so brachten wir schließlich unsere Tochter am 26. August 2015 zum Frankfurter Flughafen. Zugegeben mit nicht ganz leichtem Herzen. Aber das Leben findet eben draußen statt und nicht bei uns zu Hause am Küchentisch.

Ich hatte am meisten mit dem Gedanken zu kämpfen, nicht helfen zu können, wenn meine Hilfe benötigt würde. Nicht mal schnell hinfahren, um mit Rat und Tat Situationen aufzufangen oder das Kind einfach nur in den Arm nehmen zu können.

Musste ich auch nicht.

Alle zwei Wochen telefonierten wir mit einem äußerst glücklichen Kind. Die Berichte an den Unterstützerkreis waren fröhlich, gespickt mit Fotos von lachenden Kindern und Schwestern. Der Unterstützerkreis wurde immer größer. Kein Markttag in unserer Kleinstadt, an dem ich nicht Bericht erstattete, Fragen beantwortete oder den selbstgemachten Flyer verteilte, den ich immer in der Handtasche mit mir trug.

Mir wurde die Funktion und Idee des Unterstützerkreises immer klarer.

Natürlich hatten wir zu knabbern: Im Oktober richtete ich das Paket mit ihrem Adventskalender. In unserer Familie hat jedes Kind seinen eigenen. So stand ich im Drogeriemarkt, mit den Tränen kämpfend und ihnen auch freien Lauf lassend, um Dinge für die 24 Säckchen zu kaufen, die nicht in Afrikas Sommer dahin schmolzen – sie fehlte.

Auch Weihnachten war eine Herausforderung. Aber noch bewegender war ihr Anruf, bei dem sie uns berichtete, dass sie sich der Kinder angenommen hat, die nicht von ihren Eltern abgeholt wurden, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. „Wie können Eltern ihre Kinder nicht abholen?“ …. Weil sie sie kaum ernähren können und sie sie dort besser aufgehoben wissen.

Sie bekamen extra viel Zuwendung und Nähe: „Das schönstes Geschenk ist Liebe und Aufmerksamkeit“ hörten wir glücklich am Telefon.

Es gab auch mal Unstimmigkeiten, aber auch Lösungswege.

Es gab auch mal Tränen, aber auch jemand, der sie trocknete.

Es gab auch Nöte, die gesehen und wirkungsvoll in Angriff genommen wurden. Wir erlebten Schwestern, die auf die Mädchen aufpassten, ihnen klare Regeln vorgaben und auf Einhaltung achteten, die sie in ihre Gemeinschaft aufnahmen und daran teilhaben ließen.

Nachdem klar war, dass sie selbstständig reisen kann, durfte sie ihre Freundin, die ihren Freiwilligendienst in Moshi leistete, besuchen.

Der Unterstützerkreis blieb weiter interessiert und viele in unserer kleinen Stadt konnten mit der Stadt Singida im Herzen Tansanias nun etwas anfangen.

Ich entschied mich, sie in Tansania zu besuchen, wann sonst würde ich nach Afrika kommen.

Ab da verging die Zeit wie im Flug.

Ende Juli landete ich in Arusha/Kilimandscharo – die Reise meines Lebens begann.

Ich sah mein Mädchen wieder! Mit etwas gemischten Gefühlen zugegeben. Zu was für einer Persönlichkeit hat sich dieser mir so vertraute Mensch entwickelt?

Mit Stolz erlebte ich eine junge Frau, die in fließendem Kisuaheli die Busfahrt organisierte oder auf dem Markt handelte, die freundlich Bettler abwimmelte und die von 50 Kindern sehr geliebt wurde.

Ich erlebte aber auch, wie ich schon am 4. Tag über Reis mit Bohnen die Nase rümpfte. Wie peinlich!

Die Gemeinschaft mit den Schwestern war berührend und bewegte mich sehr. Ich war und bin sehr froh und dankbar dies erlebt haben zu dürfen. Die Berichte und Fotos bekamen nun Leben und Inhalt.

Im August kamen wir gemeinsam nach Hause. Das Einfinden in das schnelle, laute und wohlhabende, aber auch oft schlecht gelaunte, immer unzufriedene Deutschland begann.

Die Gespräche am Tisch erreichten andere Qualitäten. Die jüngeren Brüder, deren Fokus eher auf PS-starken Fahrzeugen und Sport lastete, wurden nun auch mit lebensnahen Themen konfrontiert.

Besonders lustig war dann auch der Besuch von zwei Schwestern aus Tansania in Deutschland, die zwei Nächte unsere Gäste waren.

Ich möchte Sie ermutigen, sich und Ihren Kinder und die Chance zu geben, dieses Abenteuer zu erleben. Wir brauchen Menschen, die sich wohlwollend einbringen, mit Respekt vor Menschen gleich welcher Herkunft oder Nationalität, mit Respekt vor deren Kultur und Natur, die mutig und glaubhaft ihre Stimme erheben und damit vielleicht die eine oder andere Barriere aus Vorbehalten überwinden.

Ein Gewinn für uns alle und ein von ganzem Herzen kommender Dank an die Pallottinerinnen für das, was unsere Tochter erleben und wir als Familie erfahren durften.